Unwirksame Kündigungen aufgrund von Verfahrensfehlern bei der Massenentlassung – exemplarisch: Kündigung Cockpit-Personal durch Air Berlin

Die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen ist nicht nur daran zu messen, ob tatsächlich dringende betriebliche Erfordernisse für den Beschäftigungswegfall vorliegen, eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt wurde und weitere Beschäftigungsmöglichkeiten in einem Unternehmen nicht vorhanden sind. Ebenso ist zu beachten, dass im Zuge größerer Personalabbaumaßnahmen zeitlich vor einer Massenentlassung Konsultationen mit den Arbeitnehmervertretern zu führen sind und eine Anzeige an die Agentur für Arbeit zu erstatten ist. Beide Verfahren stehen selbständig nebeneinander und dienen dem Arbeitnehmerschutz.

Die Konsultationen mit dem Betriebsrat (oder der Personalvertretung bei einer Fluggesellschaft) zielen in erster Linie auf Maßnahmen, aufgrund derer die geplanten Entlassungen vermieden werden können. Durch die Erfüllung der Anzeigepflicht soll die Agentur für Arbeit in die Lage versetzt werden, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen zu mildern, indem sie etwa für anderweitige Beschäftigungen und Umschulungen sorgt.

Fehler in dem Konsultationsverfahren mit den Arbeitnehmervertretern führen unweigerlich zur Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung, ebenso eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur für Arbeit. Beispielhaft ist hier aus jüngster Zeit das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.2020 (AZ: 8 AZR 215/19) zu erwähnen, wonach Air Berlin die Massenentlassungsanzeige unter Verkennung des maßgeblichen Betriebsbegriffs bei der Agentur für Arbeit in Berlin an ihrem Firmensitz und nicht bei der in dem dortigen Fall zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf eingereicht hat. Demzufolge waren die diesbezüglichen Kündigungen des Cockpit-Personals als unwirksam anzusehen.

Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit

Eine anzeigepflichtige Massenentlassung im Rahmen größerer Personalabbaumaßnahmen liegt vor, wenn die Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erreicht sind. Dabei richtet sich die Anzeigepflicht nach dem Verhältnis der Anzahl der in einem Betrieb zu entlassenden Arbeitnehmer zu den dort in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern. So ist etwa der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, wenn in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entlassen werden sollen. Maßgeblich für die Ermittlung der Anzahl der regelmäßig Beschäftigten ist nicht der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis enden soll, sondern derjenige des Zugangs der Kündigungserklärung. Der Massenentlassungsschutz entsteht also, wenn der Arbeitgeber innerhalb von 30 Kalendertagen die erforderliche Anzahl von Kündigungen erklärt und diese in dem vorgenannten Zeitraum auch den Arbeitnehmern zugehen.

Die Massenentlassungsanzeige muss bei der für den jeweiligen Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit erfolgen. So handelt es sich nach dem unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriff nach § 17 Abs. 1 KSchG beispielsweise bei den Stationen bzw. home bases einer Fluggesellschaft um Betriebe im Sinne dieser Norm, da dort die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten, mithin der regionale Arbeitsmarkt betroffen ist (so das Bundesarbeitsgericht a.a.o. für Air Berlin-Piloten, die der Station Düsseldorf zugeordnet waren). Nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG muss die Anzeige folgende Angaben enthalten:

  • Name des Arbeitgebers, Sitz und Art des Betriebes
  • Gründe für die geplanten Kündigungen
  • Zeitraum - nach Kalendertagen -, in dem Kündigungen vorgenommen werden sollen
  • Vorgesehene Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer
  • Berufsgruppen der zu entlassenden und in der Regel beschäftigen Arbeitnehmer

Fehler bzw. Unvollständigkeiten der vorgenannten Angaben („Muss-Angaben“) führen grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Massenentlassung und dadurch mittelbar zur Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen. Auf eine zu niedrige Angabe der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer können sich aber nur diejenigen Arbeitnehmer berufen, die von der Anzeige nicht erfasst sind (BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10).

Konsultation mit dem Betriebsrat

Ist in einem Unternehmen/Betrieb ein Betriebsrat (bzw. eine Personalvertretung bei einer Fluggesellschaft) gebildet, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat rechtzeitig vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit auf der Grundlage seines unternehmerischen Konzeptes die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen. Aufgrund der überlassenen Informationen haben die Betriebsparteien Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Der Arbeitgeber hat nach § 17 Abs. 2 KSchG über folgende Punkte zu unterrichten:

  • Gründe für die geplanten Entlassungen
    Dazu gehört die Angabe des Sachverhalts, mit dem der Arbeitgeber die Kündigung begründen will. Die pauschale Angabe betrieblicher Gründe dürfte nicht ausreichend sein.
  • Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer
  • Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer
  • Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen
    Dabei kommt es auf den Monat an, in dem der Arbeitgeber den Ausspruch der Kündigung beabsichtigt und nicht auf den Kündigungstermin.
  • Vorgesehene Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer
    Dazu zählen fachliche, persönliche, soziale und betriebliche Gesichtspunkte. Auch Aspekte wie Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen und eine eventuelle Schwerbehinderung sind mitzuteilen.

Der Arbeitgeber hat die vorgenannten Auskünfte schriftlich zu erteilen. Ausreichend ist die Wahrung der Textform (etwa per Fax oder E-Mail).

Ist der Betriebsrat nach den gesetzlichen Vorgaben in gebotener Weise unterrichtet worden, hat der Arbeitgeber mit ihm Vorschläge zur Vermeidung oder Abmilderung der Folgen der Maßnahmen zu beraten, etwa zur Beschäftigungssicherung durch Überführung der Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft. Die Konsultationspflicht mit dem Betriebsrat erschöpft sich nicht nur in einer Auskunftserteilung und Anhörung. Die Betriebsparteien müssen vielmehr über die Sachverhalte der Massenentlassungsanzeige mit einem ernsthaften Willen zur Einigung verhandeln. Der Arbeitgeber muss bereit sein, sich mit den abweichenden Vorstellungen des Betriebsrats ernsthaft auseinanderzusetzen.

Abschließend muss der Arbeitgeber der Massenentlassungsanzeige eine etwaige Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen beifügen. Liegt eine solche Stellungnahme des Betriebsrates nicht vor, so ist die Anzeige dennoch wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet und den Stand der Beratungen dargelegt hat. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige bereits vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist erstatten kann, sobald der Betriebsrat eine ausreichende abschließende Stellungnahme zu den beabsichtigten Kündigungen abgegeben hat (BAG Urteil vom 09.06.2016 – 6 AZR 405/15).

Verfahrensfehler mit der Folge der Unwirksamkeit einer Kündigung

Eine wirksame betriebsbedingte Kündigung setzt voraus, dass der Arbeitgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Massenentlassung zuvor eine wirksame Anzeige an die Agentur für Arbeit erstattet hat und zwar nach Durchführung des erforderlichen Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat. Ist die Kündigung ausgesprochen, kann keine wirksame Anzeige mehr erstattet und ohne Anzeige nicht wirksam gekündigt werden. Die Kündigung wäre dann nach § 134 BGB nichtig (BAG 22.09.2016 – 2 AZR 276/16, RNr. 21). So kann etwa die Einreichung einer Massenentlassungsanzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich ziehen. Ebenso ist die Kündigung unwirksam, wenn der Anzeige keine ausreichende Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt ist oder wenn die Voraussetzungen einer Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Unterrichtung des Betriebsrats nicht erfüllt sind (BAG 26.02.2015 – 2 AZR 955/13). Die Unwirksamkeitsfolge dürfte allenfalls dann nicht eintreten, wenn die Massenentlassungsanzeige geringfügige Fehler bzw. Ungenauigkeiten aufweist, die den gekündigten Arbeitnehmer nicht betreffen und keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Agentur für Arbeit haben können. Auch ist die Unwirksamkeit einer Kündigung grundsätzlich dann gegeben, wenn die Anzeige im Hinblick auf die gesetzlichen Pflichtangaben gegenüber der Agentur für Arbeit fehlerhaft durchgeführt wurde.

Ferner ist eine Kündigung unwirksam, wenn das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Die Unwirksamkeitsfolge tritt etwa ein, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht die zweckdienlichen Auskünfte erteilt und ihn nicht schriftlich über die im Gesetz näher bestimmten Umstände („Muss-Angaben“) unterrichtet hat. Für eine wirksame Massenentlassungsanzeige muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung über die Möglichkeit beraten haben, die Entlassungen zu vermeiden bzw. einzuschränken und ihre Folgen zu mildern oder diesem zumindest Gelegenheit hierzu gegeben haben.

Fazit
Die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses ist bei einer Massenentlassung nicht nur am Maßstab des allgemeinen Kündigungsschutzes (dringende betriebliche Erfordernisse, keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, ordnungsgemäße Sozialauswahl) zu messen. Ein sorgfältiger Arbeitnehmer-Anwalt prüft auch, ob bei größeren Personalabbaumaßnahmen das komplexe Verfahren zur Massenentlassung (Konsultation mit dem Betriebsrat und Erstattung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit) durch den Arbeitgeber ordnungsgemäß bzw. fehlerfrei durchgeführt wurde. Das Beispiel von Air Berlin aus jüngster Zeit hat gezeigt, dass eine Anzeige an die örtlich unzuständige Agentur für Arbeit gleich die Unwirksamkeit der jeweiligen Kündigungen zur Folge hat.

Dr. Bredehorn
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt

zurück